Sonntag, 12. November 2006

51: Tante Raja erzählt

Manchmal habe ich ganz viel Zeit. Dann frage ich mich: Wer bin ich? Ich bin nicht das kleine Ichbinich. Binichnich. Ehrlichnich.
Wer aber bin ich dann? Manchmal haben andere Menschen meine Zeit, und die fragen sich dann meine Fragen. Wer ist er, der vergisst, wer er ist?
Oft gibt es dann Leute, die glauben, ich zu sein, wie zum Beispiel jener Kerl, den es damals beim Zielsprung in Schladming so mörderisch zerlegt hat (Und dessentwegen ich am Heckspoiler meines Manta schlafen musste). Dann gibt es jene, die glauben, mich in diesem oder jenem Menschen erkannt zu haben. Der Chef erzählt immer, ich wäre eines Tages winselnd vor der Redaktionshütte gestanden, mit einem gebrochenen Fahrradrahmen um den Hals und hungrig bis auf die Knochen.
All das ist unwahr.
Die Wahrheit kennt keiner außer meinem Tantchen Raja, zumindest behauptet sie das. Tante Raja erzählt, dass sich das alles folgendermaßen zugetragen hat, und es wird wohl stimmen, wer mag ihr nach meinen jüngst erlittenen Verletzungen schon widersprechen:
„Mein Neffe Ron wurde am 29. Feber 1966 in den Koli-Bergen im Norden Finnlands als Sohn eines dreizehigen Rentierfallenmonteurs und einer grünäugigen Eisstockschnitzerin geboren. Früh erlernte er das Überleben, seine Füße reichten von Kindesbeinen an bis zum Boden. Bei seiner Geburt erhielt er den Namen Antti, den er aber bald verlor wie auch in weiterer Folge sein rotkariertes Taschentuch, seine Unschuld und seine Bankomatkarte. Nach einer Lehre als Bankfrauenkaufmann trat er als Tretbootfahrer in die finnische Infanterie ein, die mit ihm das entscheidende Steckrübenwerfen gegen Blauweiß-Lappenranta verlor und er strafweise für drei Monate zum Eiszapfenschälen in die Sauna des Kompaniekommandanten Esa Virtanen versetzt wurde.
Virtanen, ein leidenschaftlicher Kuhdungraucher in der Meerschaumpfeife, starb kurz darauf. Das war schade, auch wenn keiner wusste, warum.
Antti, der unter der Küchenkredenz aus Wacholderbeerholz den frei herumliegenden Vornamen Ron gefunden hatte, ging oft spazieren. Auf einer seiner Wanderungen durch die anmutigen Regenwurmhaine von Lapenranta gewahrte er eine Schreibmaschine aus Thunfisk. „Oh, aus Thunfisk!“ frohlockte Ron vorgeblich, auch wenn es an Augenzeugen für diese Begebenheit mangelt. Natürlich hat nie jemand eine Schreibmaschine aus Thunfisk gesehen, wie denn auch.
Zurück in der Zivilisation, also in der drei-Häuser-und-ein-Marimekko-Siedlung Ahamovara, drosch Antti, also Ron, mit seinen drei oder vier rachitischen Händen unkoordiniert auf den Pfarrer ein, der ihn prompt zu verfluchen versuchte, aber glaubt ihr, das hat funktioniert?
Statt dessen aß Ron, schmächtigster von uns Perkelinos, den Papen auf, mit Senf Reine de Dijon, medium to well done, zwischen den einzelnen Schmatzern lauthals „Thunfisk, Tunfisk!“ sabbernd.
Unterdessen war Antti-Rons Vater, von Namen Ron-Antti, in eine seiner eigenen Rentierfallen getappt, und zwar mit seiner Mutter voraus. War das ein Geschrei! Hat die gefiept und erst er! Ärger als ein Robbenhund mit einem Löwenzahnwal, wirklichwahr.
Mein Neffe Ron aber, der kriegte das gar nicht mit. So einer wie er, der will ja nur zehn Kilo blutige Himbeerhose am Tag bestellen, dann ist er schon zufrieden. So einen kümmert es nicht, wenn die Brennesseln blühen.
Dass er schließlich in Österreich landen musste, darf auch keinen wundern. Ein seltsameres und also passenderes Land hätte diese Knoblauchzehe der Familie ohnehin nicht finden können. Falls ihr ihn seht: Passt trotzdem gut auf ihn auf!“

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